Suara Keheningan Inosensius I. Sigaze, O.Carm
Predigt 5. So. 6.02.2022 | Jes 6, 1–2a.3–8; 1 Kor 15, 1–11; Lk 5, 1–11
1. Jeder Mensch hat die Möglichkeit, sich selbst und andere Menschen und Wirklichkeiten auf vielfältige Weise kennen-zulernen, vor allem durch Begegnungen und durch eigenes Handeln. Im Kontext der Gottes- und Glaubensbegegnung könnte man sagen: das Dasein und das Wirken Gottes findet der Mensch vor allem, wenn er in sich geht und indem er sich selbst als göttliches Geheimnis wahrnehmen kann.
2. Der Prophet Jesaja erfährt in der Begegnung mit Gott, dass dieser ihn nicht nur berufen hat, um wichtige Aufgaben auszuführen, sondern vor allem, um zu einem richtigen Gottesbild zu finden. Gott ist nicht nur in der Wüste oder auf einem Berg erfahrbar, sondern auch an vielen anderen Plätzen und im Menschen selbst. In der heutigen Lesung erscheint Gott im Tempel, also an einem heiligen Ort. Dabei erscheint Gott in Jesajas persönlicher Vision auch als König, als Schöpfer, als der Höchste, der von allen angebetet werden muss. Im Licht dieser Perspektive auf das Mysterium Gottes geht Jesaja in sich und erfährt, wer er für Gott ist. Er sagt: „Weh mir, denn ich bin verloren. Ich bin ein Mann mit unreinen Lippen.“
3. In einfacher, aber auch großartiger Sprache, berichtet Jesaja in der heutigen ersten Lesung, wie der Gott Israels ihn zum Propheten berufen hat. Gegenüber einem heiligen und unnahbaren Gott versteht sich Jesaja auf verschiedene Weise und in verschiedenen Funktionen: Erstens wird Jesaja sich seiner Sündhaftigkeit und der Sünde des Volkes bewusst. Zweitens erkennt Jesaja, dass er von Gott geheiligt und in Dienst genommen wird. Drittens erhält Jesaja die Aufgabe und Verantwortung, das Wort Gottes in Israel zu verkünden. Viertens wird Jesaja auch gegen Israel vorgehen, die Menschen, die er liebt, und mit denen er sich solidarisch weiß.
4. Nicht viel anders als Jesaja bezieht sich Paulus in der heutigen zweiten Lesung auf die Stelle, die das älteste schriftliche Zeugnis des Auferstehungsglaubens enthält, das um 55 nach Christus und damit vor den Evangelien geschrieben wurde. Die Auferstehung Jesu war für Paulus eine grundlegende Tatsache; ohne diese grundlegende Tatsache gäbe es keinen Apostel Paulus, aber damit auch keine Botschaft über Christus und auch keine Kirche, wie sie sich bis heute über die ganze Welt verbreitet hat.
5. Nicht viel anders als die Begegnung bzw. die Erfahrung bei Jesaja und seine Reflexion über das Erscheinen Gottes hat auch Paulus die Auferstehung Christi als Ausdruck der Herrlichkeit Gottes gesehen und gedeutet. Für Paulus führte nicht nur seine persönliche Erfahrung der Herrlichkeit Gottes auf der Reise nach Damaskus zu seiner Bekehrung, sondern auch die Botschaft, die er empfangen hatte, bevor das Evangelium geschrieben wurde. Indirekt akzeptierte auch Paulus Jesajas Erfahrung und Konzept der Berufung und Mission in der Welt.
6. Jesajas Bereitschaft, Gottes Mission auszuführen, wird deutlich begleitet von der Antwort „Hier bin ich, sende mich“, ähnlich dem persönlichen Bekenntnis des Paulus: „Ich bin der geringste aller Apostel und verdiene es nicht, Apostel genannt zu werden, weil ich die Kirche Gottes verfolgt habe." Die Ähnlichkeit der Erfahrungen dieser beiden Persönlichkeiten ist sicherlich eine interessante Perspektive, die uns helfen kann herauszufinden, wie Berufung und Mission heute gesehen und gestaltet werden können.
7. Es scheint, dass man die Erfahrungen von Jesaja und Paulus nicht von der Realität der Erfahrungen anderer Jünger trennen kann, sondern dass sie zusammenhängen. So zeigt die Erfahrung des Fischers Simon, der bis zur Begegnung mit Jesus Fische gefangen hatte und so zu sagen die gleiche Erfahrungsstruktur, wie man sie auch bei Jesaja und Paulus vorfindet. Ausgehend von dem Wort, das von Jesus kam, erlebte Simon die Erfahrung der Fülle. Danach fiel Simon Petrus vor Jesus nieder und sagte: „Herr, geh weg von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch.“ Erst danach bekam Simon den Namen Petrus: Fels, und wurde Menschenfischer. Er nahm die neue Berufung mit der damit verbundenen Verpflichtung an, alles aufzugeben, um Jesus nachzufolgen.
8. Drei Personen und drei Erfahrungen in ihrer Begegnung mit Gott und Jesus haben eine Tür zum Verständnis von Berufung und Mission auch für unsere Zeit geöffnet. Die genannten Erfahrungen und Begegnungen sind durch alle Jahrhunderte hindurch geschehen und sie geschehen auch jetzt und in Zukunft.
9. Die Erfahrung der Gottesbegegnung ist eine Berufungs- und Sendungserfahrung, die nie losgelöst ist von der Selbsterkenntnis des Menschen, der um seine Sündhaftigkeit weiß. Sünde muss kein Hindernis sein, Gottes Mission auszuführen. Sie kann Eingang zu Gottes Gnade werden. Und diese kann Menschen und Welt verändern. Geh weg von mir, sagt Petrus, denn ich bin ein sündiger Mensch. Aber Gott geht nicht weg. Die Geschichte erzählt, wie Gott selbst dem von ihm Gerufenen entgegenkommt. Jesus baut eine Brücke zu Petrus hin, macht ihm ein Beziehungsangebot, wodurch es für ihn möglich wird, trotz seiner Kleinheit und Sündhaftigkeit zu ihm Kontakt aufzunehmen: Hab keine Angst. Und das verändert ihn. Der Fischer Simon Petrus wird zu jemandem, der Menschen fängt. Das griechische Wort „dzoogréoo“ sagt es noch deutlicher: Menschen „lebend fangen“ bzw. „gefangen nehmen“ in dem Sinne, dass dadurch Menschen neues Leben ermöglicht wird. Denen, die sich selbst aufgegeben haben oder die von anderen als verloren und aufgegeben angesehen werden, denen das Leben zurückgeben. Der Fischer Simon Petrus, der bis dahin Fische gefangen hat, die dadurch einem sicheren Tod entgegengingen, er wird nun zu einem Menschen, der im Dienst des Evangeliums Menschen das Leben zurückgibt. Und der auch selbst zu einem neuen Leben findet.
10. Im Rahmen der gegenwärtigen Berufung und Sendung der Kirche befinden wir uns vielleicht in einer Phase der Begegnung, in der wir wie Paulus demütig vor Jesus hinknien müssen. Oder die Kirche ist in der Reisephase nach Damaskus und freut sich darauf, eine Begegnung mit Jesus wie Paulus zu erleben. Oder es könnte sogar sein, dass sich unsere Kirche in der Erfahrung befindet, bei der Jesaja sich selbst verurteilt: Weh mir, denn ich bin verloren.
11. Die Frage ist: Wer wagt es, wie Jesaja zu sein, oder wer ist bereit, wie Paulus und Simon Petrus zu sein? Eines ist sicher: Jesaja, Paulus und Petrus sind Gott bzw. Jesus begegnet, haben sich auf diese Begegnung eingelassen und das gab ihnen Mut und Kraft. Sie fanden zu einem neuen Leben.
12. Ich denke, die aktuelle Kirchenkrise ist ein Zeichen dafür, dass wir uns auf einer Reise befinden, im Prozess des „Herunterfallens“ des Petrus oder im Prozess der Reise des Paulus nach Damaskus und im Prozess der Selbstverfluchung wie Jesaja. Was kommt danach? Sprechen Sie lieber nicht so viel darüber, sondern konzentrieren Sie sich zunächst auf die drei Prozesse, die Jesaja, Paulus und Simon Petrus erlebt haben.